Wird die neue Digitalagentur zu mächtig?

Veröffentlicht in der Pharmazeutischen Zeitung am 18.10.2024 Internetseite

Das Kernstück des »Gesundheits-Digitalagentur-Gesetzes« ist der Ausbau der Gematik zu einer Digitalagentur für Gesundheit. Die neue Agentur soll die Entwicklung und Bereitstellung von Komponenten und Diensten der Telematikinfrastruktur (TI) steuern. Wesentliche Komponenten und Dienste der TI sollen künftig über ein Ausschreibungsverfahren von der Digitalagentur beschafft und bereitgestellt werden können. Außerdem soll die Agentur hoheitliche Aufgaben wie das Zertifizierungsverfahren und die Erteilung von Anordnungen zur Gefahrenabwehr erhalten. 

Das »Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz« ist das dritte große Gesetz der Ampel zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Am Donnerstagabend wurde es in erster Lesung im Bundestag beraten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hob in seiner Rede die Bedeutung der Digitalisierung hervor und klagte über die Versäumnisse der vergangenen Jahre. Doch die verspätete Digitalisierung sei auch eine Chance, da man sich jetzt auf moderne Technologien wie KI-Anwendungen einstellen könne. 

»Das heutige Gesetz ist von großer Bedeutung, Es soll sicherstellen, dass die Technologie auch im Alltag schnell, zuverlässig und nutzerfreundlich funktioniert«, erklärte der Minister. Die neue Agentur solle beispielsweise dafür sorgen, dass sich die elektronische Patientenakte (EPA) im Apothekenalltag schnell öffnen lässt. Außerdem müssten unterschiedliche digitale Systeme reibungslos miteinander kommunizieren können. 

Deutschland könne durch die Digitalisierung viel gewinnen. Noch immer seien viele schwere Erkrankungen wie Krebs oder Alzheimer nicht ausreichend behandelbar. »Wir haben hier nur eine Chance, schnell zu Durchbrüchen zu kommen. Das ist der Weg, über Verfahren der künstlichen Intelligenz mit modernen Methoden neue Wirkkonzepte zu entwickeln und zu testen«, führte Lauterbach aus. Deutschland könne hier in Zukunft mit besonders guten Datensätzen eine Vorreiterrolle in der Forschung einnehmen. 

Agentur mit vielen Befugnissen 

Auch Erwin Rüddel von der CDU sah große Chancen in der Digitalisierung. Das neue Gesetz klinge in der Theorie sinnvoll, seine Partei habe allerdings Bedenken bei der angedachten Doppelrolle der Digitalagentur. »Die Agentur soll sowohl als Anbieter auftreten, als auch Standards setzen und die Zulassung von Anwendungen übernehmen. Damit wird sie de facto Schiedsrichter und Spieler zugleich. Eine Doppelrolle, die Interessenkonflikte nahezu unvermeidbar macht«, so Rüddel. 

Außerdem klagte der Christdemokrat, dass das geplante Gesetz zu staatsgläubig sei und die Innovationskraft der Privatwirtschaft ignoriere. »Mit dem vorliegenden Entwurf besteht die Gefahr, dass privatwirtschaftliche Akteure ausgebremst werden. Das schadet der Digitalisierung insgesamt. Wir müssen sicherstellen, dass sich die besten Ideen im Wettbewerb durchsetzen«, sagte Rüddel. 

Die AfD-Abgeordnete Barbara Benkstein sorgte sich über den potenziellen Einfluss der neuen Agentur. »Wir sehen einen mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Akteur, wie ihn die Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesen bisher nicht kennt. Da müssen wir aufpassen. Da sind zum Beispiel die angedachten Sanktionsmöglichkeiten der Digitalagentur bei Verstößen gegen die Sicherheit der Telematikinfrastruktur«, warnte Benkstein. Außerdem müsse die neue Agentur durch das Gesundheitsministerium und nicht durch die Gesetzliche Krankenversicherung finanziert werden. 

Anke Domscheit-Berg von den Linken hielt die Gründung der neuen Agentur für grundsätzlich richtig. »Digitalisierung zum Wohle der Patientinnen funktioniert weder durch den freien Markt, noch durch Pattsituationen der Selbstverwaltung.« Sorgen mache ihr allerdings, dass seit Jahren 75 Prozent der IT-Sicherheitsstellen im BMG unbesetzt seien. »Der Gesundheitssektor ist eine Hauptzielscheibe für Cyberattacken und braucht einen besonders hohen Schutz. Wer in diesen Zeiten die IT-Sicherheit nicht hoch priorisiert, verspielt Vertrauen, gefährdet den Erfolg der Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Grundrechte von Millionen Patientinnen«, so Domscheit-Berg.

Nach der etwa 40-minütigen Aussprache wurde die Vorlage des Gesetzes zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Federführend ist der Gesundheitsausschuss.